Haubitz+Zoche
Der Autor der Fichtenborken
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DER AUTOR DER FICHTENBORKEN
Gips, Epoxidharz, Pigment, SZ, 2021
Haus der Kunst, München; Kunsraum hase29 Osnabrück
„Wir wissen es nicht. Wir können nur annehmen, daß die mutmaßliche Kunst der Pflanzen ganz anders geartet ist als die Kunst der Tiere“, schreibt der Präsident der Gesellschaft für Therolinguistik im Essay von Ursula K. Le Guin, der Autorin von Science-Fiction und phantastischer Literatur. „Können wir sie wirklich kennen? Können wir sie je verstehen?“, fragt er uns bescheiden aus der Zukunft. Ja verstehen wir denn heute die Natur in ihrer Komplexität?, stellt sich die Frage vor der Arbeit von Stefanie Zoche. Auf einer schwarzglänzenden Lache befindet sich, neben halb darin versunkenen menschlichen Utensilien, eine Anordnung filigraner Formen –aufgetürmt wie Eisschollen, die sich in Erdöl spiegeln. Diese Abgüsse von Stämmen und Rinden geben feinste Spuren von Borkenkäfern wieder: eingefressene Rammelkammern, Mutter- und Larvengänge. Sie erscheinen als kunstvolle Geheimschrift der Kupferstecher und Buchdrucker, wie diese als Schädlinge geltenden Käfer auch genannt werden. Der ‚Übersetzung’ ihrer Schriften geht Zoche in Anlehnung an Le Guins Text Der Autor der Akaziensamen nach. Beide Texte finden sich zur Mitnahme im beigelegten Journal der Gesellschaft für Therolinguistik.
Zoches Arbeiten berühren seit Jahren die Themen der Klimakatastrophe. Mensch und Natur sind zu widerstreitenden Kräften geworden, was Eis zerbersten und Wälder umstürzen lässt. Eine Folge unserer hochmütigen Unterschätzung systematischer Zusammenhänge der Natur, ihrer Sprache, ihrer Kunst.
Zeit, die Botschaften der Borkenkäfer zu entziffern.
Cora Waschke
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Der Autor der Fichtenborken
plaster, epoxy resin, pigment, SZ, 2021
Haus der Kunst, Munich; Kunstraum hase 29, Osnabrück, SZ, 2021
“We don’t know. We can only assume that the imagined art of plants is completely different form the art of animals”, the president of the Association of Therolinguistics writes in an essay by Ursula K.de Guin, the author of science fiction and fantasy literature. “Can we really know them? Will we ever be able to understand them?”, he modestly asks from within the future. Do we understand nature at all in its complexity? This is the question Stefanie Zocher investigates in her work. On top of a shimmering black pool we can see a selection of filigree forms beside half sunken human utensils -piled up like ice floes, mirrored in crude oil. These casts of trunks and bark reproduce delicate traces of bark beetles: eroded mating chambers, mother and larvae corridors. In appearance they are like artful engraver’s and book printer’s secret code, as these beetles, branded as pests, are also often called. In the ‘translation’ of their writings Zoche is inspired by Le Guin’s text The Author of Acacia Seeds. The two texts are published in the supplementary Journal of the Association of Therolinguistics, Zocher’s art has touched on climate catastrophe’s themes for many years. Humans and nature have become antagonistic powers, making the ice burst and destroying forests. This is the result of our arrogant underrating of the systematic correlations found in nature, its language and art. It is high time to decipher the bark beetles’ message
Cora Waschke
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Baum und Buchdrucker als lyrische Dyade
Auszug aus dem "Journal für Therolinguistik"
Sich im 22. Jahrhundert mit einer Arbeit zur Schrift der Borkenkäfer an die Wissenschaft zu wenden, verlangt nach einer Erklärung. Denn es scheint doch alles und noch mehr gesagt: Keine Studentin, die nicht schon im zweiten Semester achtungsvoll die bahnbrechenden Entdeckungen Cleopatra Nideras referieren oder eine eigene Haltung in dem ewigen Streit zwischen Kollektivisten und Individualisten einnehmen könnte, keine Buchhandlung mit nicht wenigstens ein paar Bänden Borkenkäferlyrik. Die wenigen Wissenschaftlerinnen, die sich heute der einst blühenden Scolytinaekomparatistik verschrieben haben, ergehen sich entweder in immer kleinteiligeren Übersetzungsverfeinerungen der Klassiker oder speisen immer größere Textmengen in unsere Datenbanken ein. Wirkliche Entdeckungen – so meint man – sind auf dem Gebiet der kinetischen oder der olfaktorischen Literatur zu machen, nicht aber in der Disziplin, aus der heraus vor einem knappen Jahrhundert die gesamte Therolinguistik entstanden ist. Und doch wagen wir es und treten nach jahrelanger Forschung mit einer neuen, umfassenden Theorie an die Öffentlichkeit, einer Theorie, so glauben wir, die später einmal als der Beginn des »tree turn« in die Annalen unserer Disziplin eingehen wird. Da wir aber nicht nur die Expertin und den Wissenschaftler für unsere Gedanken begeistern wollen, sondern auch den Laien, wird es uns vielleicht nachgesehen, wenn wir zunächst schon Bekanntes noch einmal referieren. Dass Borkenkäfer miteinander kommunizieren, blieb selbst dem reduktionistischen Materialismus des 20. und frühen 21. Jahrhunderts nicht verborgen. Freilich beschäftigte man sich zu dieser Zeit ausschließlich mit den einfacheren Pheromonbotschaften und nicht mit der Hohen Schrift. Und auch diese wurden stark vereinfachend als ein bloßes Austauschen von nützlichen Informationen dargestellt und nicht in ihrer Vielschichtigkeit gewürdigt. Erst in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts und gegen den vehementen Widerstand eines kurz vor der Totenstarre stehenden Universitätssystems setzten sich Cleopatra Nideras Theorien durch. In der Folge entstanden vielerorts Institute zum Studium aller möglichen nicht-menschlichen Literaturen, so dass auch die heutigen Forschungsarbeiten über die Autobiografien der Ameisen oder die kinetischen Gedichte der Kaiserpinguine letztlich auf den ersten Arbeiten zum Borkenkäfer wurzeln. Nideras große Leistung war es, dass sie trotz der oberflächlichen Ähnlichkeiten zwischen Borkenkäfer-Texten und menschlicher Schrift die Andersartigkeit des scolytinaeischen Zeichensystems erkannte. Was das menschliche Auge ohne Atom-Mikroskope in einem solchen Text zu sehen vermag, ist bloß das Äquivalent zur Bindung und dem Cover eines Buches. Der semantische Gehalt findet sich erst in kleinsten dreidimensionalen Einheiten, die in diese Buch-Gänge hineingeschrieben sind. Was heute Allgemeingut ist, Texte, die jedes Kind kennt (wie zum Beispiel »Abwärtssteigen« oder auch »Liebe im Tod«), mussten erst in jahrelanger Kleinstarbeit entschlüsselt werden. Vielleicht war es den vielen Jahren ihrer eigenen akademischen Einsamkeit geschuldet, dass Cleopatra am Ende ihrer Laufbahn zunehmend dogmatisch wurde und sich weigerte, selbst die empirisch gesichertsten Theorien der Kollektivistinnen anzunehmen. Bis zuletzt beharrte sie darauf, dass jeder einzelne Gang der vollständig abgeschlossene Text eines Einzelnen war: Es ist nichts als Esoterik, zwischen den einzelnen (!) scolytinaeischen Gedichten an einem Baum einen größeren Zusammenhang zu vermuten als den, der auch zwischen menschlichen Gedichten in einer Anthologie bestehen mag. Jeder Gang ist einzigartig, der Buchdrucker dichtet alleine! Vielleicht wäre der seltsame Riss zwischen Neo-, Post- und Strukturindividualisten einerseits und den verschiedenen Schulen der Kollektivistik andererseits, der heute so vieles in unserer Disziplin bestimmt, zu vermeiden gewesen, wenn Nideras am Ende ihres Lebens weichere Worte gefunden hätte. Denn heute ist es angesichts unseres besseren Verständnisses der Pheromonkommunikation des Vaters mit seinen Kindern während des Dichtens klar, dass der Borkenkäfer seine Texte als patrilinearer Familienverband verfasst – mit dem Vater in der Rolle des Dirigenten, nicht aber des Komponisten! Erst der intensiven Zusammenarbeit von Pheromonontologen und Schriftkundlern war diese entscheidende Erkenntnis zu verdanken. Und so bekennen auch wir uns – voller Achtung für die von Cleopatra Nideras geschaffenen Grundlagen – zu einem aufgeklärten, kybernetischen Kollektivismus. Denn erst dieser macht es möglich, die wiederkehrenden Themen der Lyrik des Buchdruckers – Tod und Liebe, Oben und Unten, Heiß und Kalt – in ihrer vielfältigen Komplexität zu erfassen! So weit, so bekannt, mag die Leserin denken und ein wenig die Stirn runzeln. Was ist da neu? So schreiben wir also, was gesagt werden muss: Das kollektive Feld, dem die
Entstehung dieser Texte zu verdanken ist, ist viel größer, als bisher angenommen. Durch eine fruchtbare Verbindung der Wiederlektüre des fast vergessenen französischen Soziologen Bruno Latour mit der religionswissenschaftlichen
Dendrologie ist es uns gelungen, nachzuweisen, dass die Texte der Borkenkäfer immer in einem Zusammenspiel mit dem spezifischen Baum entstehen und dieser als an der Dichtung elementar beteiligt verstanden werden muss. Die Religiösität der europäischen Bäume erfuhr im Kapitalozän einen entscheidenden Umschwung: Während wir annehmen dürfen, dass zuvor eine über Jahrmillionen entfaltete und verwurzelte Zyklizität – die uns Menschen oberflächlich an den Daoismus denken lässt – die Basis des dendrischen Glaubenssystems war, führte das sinnlose, menschgemachte Massensterben ab der Mitte des 19. Jahhrunderts zum Aufkommen ganz neuer, messianisch geprägter Überzeugungen in den Baumgesellschaften. Wo vorher die Zeit rund war, war sie plötzlich linear und kündete in vielen Texten – seien sie rindisch, blatthaft, pheromonal oder auch wurzelnd – vom Ende aller Zeit und der baldigen Ankunft des Geflügelten, der nicht fliegt. In umfassenden Textvergleichen mit Abgüssen von Bäumen aus dem großteils vernichteten Białowieża-Urwald ist es uns gelungen, nachzuweisen, dass sich – je nach Baum – auch in der Dichtung der Borkenkäfer diametral entgegengesetzte Zeitvorstellungen finden. Dass diese subtilen Unterschiede bisher übersehen werden konnten, ist ein weiterer Beleg dafür, wie schwer wir uns noch immer tun, das konkrete Zusammenwirken verschiedener Spezies beim Verfassen der großen Erzählung Gaia wirklich wahrzunehmen. Noch immer sind wir Erben und Erbinnen des menschlichen Solipsismus, obschon wir begründete Hoffnung haben, uns in der letzten Phase dieses zerstörerischen Irrwegs zu befinden. Doch nun endlich zu den konkreten Texten: Der Abguss eines Buchdrucker-Textes in einer 2036 an der damaligen polnisch-weißrussischen Grenze verstorbenen Fichte (Abb. 1) lautet in Übersetzung: Von oben nach unten steigend durchwandern wir tausend Welten aus Tod und Liebe gelangen zu weiteren tausend Welten aus Liebe und Tod Diese Fichte starb nicht durch Menschenhand und stand in einem der besterhaltenen Wildnisgebiete der damaligen Zeit. In ihrer Umgebung hunderttausende andere Bäume, die Äxte, Harvester und den genozidalen Clear-Cut nur vom Hörensagen kannten. Auch andere erhaltene Texte aus dieser Gegend weisen den eindeutig zyklischen Gehalt des obenstehenden Gedichts auf. Stellen wir dagegen den folgenden Text, der sich im Abguss einer 2016 in Białowieża gefällten Kiefer (Abb. 2) befindet (angeblich im Rahmen von Maß- nahmen gegen den Kupferstecher!), so fällt eine ganz andere Vorstellung von Zeitlichkeit auf: Immer geht mein Weg von oben nach unten von der Kälte in die Hitze vom Leben in den Tod so gelange ich ins ewig unbewegte Nass Glücklicherweise stehen uns eine ganze Reihe von Abgüssen aus diesem gewaltigen Abholzungsgebiet zur Verfügung. Und alle (!) Texte aus diesem getöteten Wald scheinen von einer Zeit, die an ihr Ende kommt, zu sprechen. So zum Beispiel auch dieser (Abb. 3): Sie kamen, wenn ich rief um mit mir zu verkehren sie flogen weiter und kamen nie zurück Und diesem kurzen, tragischen Gedicht sei noch einmal eines aus der bis in die 2060er Jahre – wir müssen es eingestehen, bloß wegen der anachronistischen Streitereien um Nutzungsrechte – erhaltenen Wildnis an der polnisch-weißrussischen Grenze gegenübergestellt (Abb. 4): Immer wieder fliegen wir um zu gebären und zu töten der Flug findet kein Ende denn immer wieder rufen wir Der Vergleich der obenstehenden Gedichte bringt eine weitere tragische Erkenntnis zutage: Die Ausbreitung des Gedankens einer finiten Zeit scheint Hand in Hand zu gehen mit der Abkehr von einem kollektiv erlebten Ich und dem Aufkommen eines individualistischen Weltbezugs – obgleich alle hier stehenden Texte freilich in kollektivistischer Übersetzungsmethodik entstanden sind, also den Gesamttext eines patrilinearen Verbandes darstellen. Wer sagt da ich? Die Unterschiede in diesen Texten, so meinen wir, sind nur dann zu erklären, wenn der Baum und seine jeweilige Vorstellungswelt als aktiv am Gedicht beteiligter Autor verstanden wird. Freilich wird viel weitere Forschung notwendig sein, um herauszufinden, wie genau der Baum und die Käfer bei der Entstehung des Textes zusammenarbeiten. Auch haben wir uns in unserer bisherigen Arbeit ausschließlich auf den Topos der Zeitlichkeit konzentriert und die weitreichenden dendrischen Spekulationen zum Wesen des Wurzelraums außen vor gelassen. Den Leserinnen, die das bisher Gesagte schlüssig finden und sich weiter in unsere Überlegungen zur dendrisch-scolytinaeischen Zusammenarbeit vertiefen wollen, sei unsere Ende des Jahres erscheinende Studie »Wer schreibt? - Baum und Buchdrucker als lyrische Dyade« wärmstens ans Herz gelegt. Zuletzt sei noch gesagt, dass auch unsere Arbeit einen offensichtlichen blinden Fleck hat, der einem umfassenden Verständnis des an der Entstehung der Texte beteiligten Netzwerks entgegensteht: Es fehlt an einer systematischen Erforschung der Bedeutung des Flugs der Weibchen – erst wenn dies von nachfolgenden Forscherinnen geleistet wurde, wird es vielleicht möglich sein, nicht mehr nur dem Zusammenwirken eines Baums und einer Buchdruckerfamilie die Autorschaft zuzuschreiben, sondern dem Gesamtkomplex Buchdrucker-Wald, das irgendwann möglicherweise als aus einer Vielzahl an matrilinearen Familien sowie verschiedensten Bäumen bestehend zu fassen sein wird.
David Sumerauer / Oskar Zoche
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